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Polizeigewahrsam – Definition, Voraussetzungen, Dauer und Kosten

Lexikon, zuletzt bearbeitet am: 26.07.2023 | Jetzt kommentieren| 1 Bewertung

Polizeigewahrsam (© BillionPhotos.com/ Fotolia.com)
Polizeigewahrsam (© BillionPhotos.com/ Fotolia.com)

Der Begriff Polizeigewahrsam ist ein Fachbegriff aus dem deutschen Verwaltungs- beziehungsweise Polizeirecht und bezeichnet das Festhalten und/oder die Verwahrung einer Person durch die Polizei im Rahmen der präventiven Gefahrenabwehr. Der Begriff ist insofern von ähnlichen Maßnahmen der Strafverfolgung zu unterscheiden.

Da es sich bei dem polizeilichen Festhalten um einen grundrechtsrelevanten Eingriff handelt, darf der Polizeigewahrsam nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen erfolgen. Ferner sind der Dauer des Polizeigewahrsams Grenzen gesetzt. Wer am Ende die Kosten des Polizeigewahrsams tragen muss, hängt hingegen davon ab, ob die polizeiliche Ingewahrsamnahme rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgte.

Definition nach StPO

Der Polizeigewahrsam zeichnet sich dadurch aus, dass die betroffene Person in einer die Freiheit entziehenden Weise verwahrt wird und insofern durch die Ingewahrsamnahme von der Polizei daran gehindert wird, sich frei fortzubewegen (vgl. Oberverwaltungsgericht [OVG] Münster, Urteil vom 7 Juni 1978 – Az.: IV A 330/77). Dies kann entweder durch eine Freiheitsentziehung durch Unterbringung in einer Gewahrsamszelle oder aber auch durch ein Festhalten an einem bestimmten Ort (zum Beispiel auf dem Polizeirevier,  in einem polizeilichen Streifenwagen oder durch Einkesselung unter freiem Himmel) stattfinden.

Der polizeilichen Gewahrsam ist eine Standardmaßnahme der Polizei und daher dem Polizeirecht als ein Teil des besonderen Verwaltungsrechts zuzuordnen. Als Standardmaßnahme befinden sich die Rechtsgrundlagen für den Polizeigewahrsam in den Polizeigesetzen der Bundesländer (vgl. zum Beispiel § 35 Polizeigesetz NRW). Die meisten landesrechtlichen Vorschriften orientieren sich im Wesentlichen an der Fassung des § 13 des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes. Darüber hinaus enthalten § 39 Bundespolizeigesetz (BPolG) und § 20p Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG) Ermächtigungsgrundlagen für eine Ingewahrsamnahme durch die Bundespolizei beziehungsweise das Bundeskriminalamt.

Diese polizeiliche Standardmaßnahme ist insbesondere von Maßnahmen der Strafverfolgung abzugrenzen, auf welche die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) anwendbar sind, darunter insbesondere:

  • Die Festnahme durch Staatsanwaltschaft oder Beamte des Polizeidienstes (hoheitliche Festnahme nach § 127 Absatz 2 StPO) beziehungsweise durch jedermann (Jedermann-Festnahme gemäß § 127 Absatz 1 StPO).
  • Das Festhalten durch Staatsanwaltschaft oder Polizeibeamte zur Identitätsfeststellung (vgl. § 163 Absatz 1 oder Absatz 2 StPO) beziehungsweise deren Festnahmerecht zur Identitätsfeststellung (vgl. § 163b Absatz 1 Satz 1 StPO).
  • Die Verhaftung zum Vollzug eines Haftbefehls, beispielsweise zum Haftantritt oder der Vorführung bei Gericht.
  • Die Untersuchungshaft (U-Haft), die auf Anordnung eines Richters auf die Festnahme folgen kann (vgl. §§ 112 ff. StPO).

Wann darf die Polizei jemanden in Gewahrsam nehmen?

Da der Polizeigewahrsam eine verwaltungsrechtliche Maßnahme darstellt, ist für die Ingewahrsamnahme weder einen Haftbefehl noch ein Ermittlungsverfahren erforderlich (im Gegensatz zur Verhaftung). Allerdings greift der polizeiliche Gewahrsam aufgrund der Einschränkung der physischen Bewegungsfreiheit des Betroffenen in das Grundrecht der Freiheit der Person ein, das durch Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) und Artikel 104 GG durch die Verfassung gewährleistet wird. Letztere Vorschrift sowie Artikel 2 Absatz 2 Satz 3 GG enthalten dabei jeweils einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt, sodass in die Freiheit der Person nur auf Grundlage eines rechtmäßigen Gesetzes eingegriffen werden darf (Rechtsgrundlagen siehe oben).

Auf materiell-rechtlicher Ebene wird der Polizeigewahrsam in die beiden Unterkategorien Sicherungsgewahrsam und Schutzgewahrsam unterteilt. Während Ersterer der präventiven Gefahrenabwehr dient, geht es bei Letzterem um den Schutz einer konkreten Person vor einer Gefahr für deren Leib und Leben.

Der Sicherungsgewahrsam (auch: Sicherheitsgewahrsam oder Präventivgewahrsam) hat dabei in der Regel die folgenden Voraussetzungen:

  • Der Gewahrsam ist „unerlässlich“: Die polizeiliche Ingewahrsamnahme muss „unerlässlich sein, um eine unmittelbar bevorstehende Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern“. Das bedeutet, dass die Abwehr der Gefahr nur durch das Mittel des Gewahrsams erreicht werden kann und nicht durch ein milderes Mittel. Diese Voraussetzung ist insoweit ein Ausfluss des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dabei müssen konkrete Tatsachen gegeben sein, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in allernächster Zeit zum Eintritt eines Schadens führen werden.
  • Verhinderung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit: Die Einschränkung „von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ bezieht sich ausschließlich auf Ordnungswidrigkeiten. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Ordnungswidrigkeit besonders bedeutende Rechtsgüter (etwa Leben oder Gesundheit) oder Interessen der Allgemeinheit (etwa Verhinderung von Ruhestörungen) gefährdet. Demgegenüber ist der polizeiliche Gewahrsam bei Vorliegen der Unerlässlichkeit zur Verhinderung von Straftaten generell zulässig.
  • Gefahrprognose: Einige Polizeigesetzte, wie etwa das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG), enthalten über das Kriterium der Unerlässlichkeit hinaus weitere Hinweise, wann eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit als „unmittelbar bevorstehend“ angesehen werden kann. Nach Artikel 17 Absatz 1 Nr. 2a PAG ist dies beispielsweise der Fall, wenn die betroffene Person die Begehung der Tat angekündigt hat oder dazu aufgefordert hat.

Der Schutzgewahrsam hat in der Regel die folgenden Voraussetzungen:

  • Selbstgefährdung: Eine Person kann in Gewahrsam genommen werden, um sie vor einer Gefahr für Leib oder Leben zu schützen. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass die Person sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder in sonst hilfloser Lage befindet. Insbesondere bei einer versuchten Selbsttötung ist die Polizei sogar verpflichtet, einzuschreiten (vgl. § 323c Strafgesetzbuch [StGB]).
  • Schutz privater Rechte: Einige der Polizeigesetze enthalten auch Ermächtigungsgrundlagen für den Polizeigewahrsam, um private Rechte zu schützen (vgl. zum Beispiel § 35 Absatz 1 Nr. 5 Polizeigesetz NRW).

Polizeigewahrsam bei Alkohol

Die Polizei ist befugt, stark alkoholisierte Personen in Gewahrsam zu nehmen. Das geht bereits aus der Formulierung „in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand“ (siehe oben Schutzgewahrsam) hervor. Allerdings ist darüber hinaus erforderlich, dass entweder die weiteren Voraussetzungen des Schutzgewahrsams oder des Sicherungsgewahrsams vorliegen. Torkelt eine betrunkene Person zum Beispiel wiederholt auf eine befahrene Straße und entsteht dadurch die Gefahr eines Unfalls, werden die Voraussetzungen in der Regel vorliegen. In einem anderen Fall randalierte ein Mann mit einer Blutalkoholkonzentration von über 3 Promille, indem er wütend gegen die Haustür seines Nachbarn hämmerte und diesen zudem bedrohte.

Dauer der Polizeigewahrsam

Grundsätzlich wird der Polizeigewahrsam durch die Vorführungsfrist des § 128 Absatz 1 StPO zeitlich begrenzt, das heißt, die betroffene Person muss spätestens am nächsten Tag (nach 24 Stunden) freigelassen oder – etwa bei Verdacht auf Straftaten – einem Richter vorgeführt werden. Soll die betroffene Person länger festgehalten werden, ist stets eine richterliche Anordnung erforderlich (sog. Langzeitgewahrsam).

Kostentragung des Veranlassers

Als polizeiliche Standardmaßname ist der Polizeigewahrsam ein Verwaltungsakt, dessen Kosten grundsätzlich dem Veranlasser aufgetragen werden können, soweit der Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Darüber hinaus muss der Veranlasser bei vorliegen der Rechtmäßigkeit auch die Kosten der Beförderung beispielsweise in die Gewahrsamszelle übernehmen.

Je nach Dauer des Gewahrsams können sich die Kosten auf bis zu etwa 120 Euro belaufen.


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